Der Verbrauch von Medikamenten steigt seit vielen Jahren stetig an und wird sich global ebenfalls rasant weiter beschleunigen. Der jährliche Verbrauch an Arzneimitteln in Deutschland liegt bei rund 30.000 Tonnen. Diese pharmazeutischen Präparate enthalten in etwa 2300 unterschiedliche Inhaltsstoffe – 1200 Medikamente bzw. deren Wirkstoffe werden als potenziell umweltschädigend und gegebenenfalls sogar für unsere Gesundheit als bedenklich eingestuft.
Wo liegen die Ursachen?
Die Ursachen dafür sind multifaktoriell - falsche Ernährung, Umweltgifte, zu wenig Bewegung, ungenügendes Stressmanagement usw. - und führen unweigerlich zu einem immer höheren Verbrauch an Medikamenten. Ein Großteil dieser Medikamente und/oder deren Abbauprodukte sowie Transformationsprodukte wiederum landen in der Umwelt und der Kreislauf ist gegeben.
Wie gelangen Medikamentenrückstände in unser Wasser?
Der Eintrag von Arzneimittelwirkstoffen, der entsprechenden Metabolite und Transfor-mationsprodukte in die Umwelt kann über unterschiedliche Wege erfolgen. Die Medikamente kommen von Apotheken oder durch Krankenhäuser zu den jeweiligen Patienten und durch Ausscheidung oder unsachgemäße Entsorgung der Patienten in die jeweiligen kommunalen Abwassersysteme. Von dort aus können die ersten Spurenstoffe durch zum Beispiel Leckagen in die Umwelt gelangen oder landen in der kommunalen Kläranlage. Je nach Aufbereitungsverfahren in den jeweiligen Kläranlagen kommt das vorgereinigte Wasser entweder wieder ins Oberflächenwasser (z. B. Flüssen) oder als Klärschlamm auf Felder bzw. im besten Fall in entsprechende Verbrennungsanlagen. Über beide ersteren Wege ist jedoch der Eintrag ins Grundwasser nicht zu verhindern. Besonders in Fließgewässern mit hohem kommunalem Abwasseranteil wurden immer besonders hohe Werte von unterschiedlichen Kontaminationsrückständen gefunden. Zusätzlich sind dann die noch vorhandenen Spurenstoffe entweder im Oberflächen- oder im Grundwasser. Aus beiden Wasserarten wird dann im Wasserwerk mittels unterschiedlicher Filtrationssysteme wieder Trinkwasser hergestellt.
Mögliche Auswirkungen auf uns Menschen?
Abschließende und umfassende Risikoabschätzungen und mögliche Auswirkungen von Arzneimittelrückständen sowohl im aquatischen Ökosystem als auch für die menschliche Gesundheit sind bis zum heutigen Tage nur bedingt möglich, weil es teilweise große regionale Unterschiede gibt und die meisten publizierten Daten sich lediglich auf die akute Toxizität der Wirkstoffe stützen. Die chronischen Auswirkungen von pharmazeutischen Spurenstoffen im Wasser und im Boden und vor allen deren mögliche neuro- und endokrintoxischen Effekte sind noch lange nicht genügend bekannt und schon gar nicht erforscht.
Mögliche Auswirkungen auf uns Ökosystem?
Neben den teilweise noch ungeklärten humantoxikologischen Wirkungen sind auch im aquatischen Ökosystem - und langfristig dann wahrscheinlich auch bei uns Menschen - funktionelle Wirkungsänderungen zu beobachten. So z.B. hormonelle, reproduktionstoxische, immuntoxische oder neuronale Wirkungen auf die ganz unterschiedlichen Organismen im Ökosystem (z. B. Fische, Schnecken, Reptilien usw.).
Gefahr der Resistenzen gegen Antibiotika?
Eine weitere sehr bedenkliche Entwicklung sind die Antibiotikaresistenzen. Diese sind heute nicht nur wie vor knapp 20 Jahren erstmalig festgestellt, in Krankenhäusern zu finden, sondern haben durch übermäßigen Verbrauch und unsachgemäße Anwendung vermehrt Einzug in die Natur gefunden. Ein Reporter Team des NDR findet eher zufällig Anfang 2018 in allen getesteten Seen, Flüssen und Badegewässern multiresistent Keime. Auch dieser Fall zeigt einmal mehr, wie weit verbreitet das eigentliche Problem bereits ist. Die Hauptverursacher sind in diesem Fall Krankenhäuser und die Massentierhaltung. (Norddeutscher Rundfunk, 2018)[1]
Warum ist das Bewusstsein für das gravierende Problem kaum vorhanden?
Wenn nun bereits so viel Wissen über die unterschiedlichen Probleme vorhanden ist, stellt sich besonders jetzt die Frage, warum ist immer noch zu wenig Bewusstsein in der Bevölkerung für diese gravierenden Probleme vorhanden? Und wie können wir vermeiden das immer noch ein Großteil – auch der Menschen in Deutschland – ihre nicht mehr zu gebrauchenden Medikamente in der Toilette entsorgen?
Aus der Sicht des integrativen und nachhaltigen Qualitätsmanagements müssten nun weiter strategische Ansätze entwickelt und vorhandene Maßnahmen massiv ausgebaut werden!
So wurden z.B. übers Umwelt Bundesamt Kommunikationsstrategien zur Schärfung des Umweltbewusstseins im Umgang mit Arzneimitteln und entsprechende Handbücher entwickelt. (Umwelt Bundesamt, 2017)[2] Auch Landesämter beteiligen sich an der Aufklärung. (Bayerisches Landesamt für Umwelt, 2016)[3] Zusätzlich wurden vom Institut für sozial-ökologische Forschung u.a. im Projekt TransRisk (ISOE , 2015) (ISOE, 2014)[4] weitere Fragestellungen, wie zum Beispiel die Wahrnehmung der Bevölkerung auf Medikamentenrückstände im Wasserkreislauf bearbeitet. Lobenswerter Weise haben sich in den letzten Jahren diverse Verbraucherschutzorganisationen ebenfalls zu diesem Thema positioniert und versuchen ihren Anteil der Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung zu gewährleisten. So hat zum Beispiel die Verbraucherkommission Baden-Württemberg einen speziellen Aufsatz zum Thema richtiger Entsorgung von Arzneimitteln verfasst und publiziert. (Verbraucherkommission BW, 2016)[5]
Leider kommt bei der Bevölkerung von diesem gesammelten Wissen und den entsprechenden Handlungskonsequenzen nicht so viel an wie erhofft. Ergo müssten höhere Investitionen in die Veröffentlichung und Bekanntmachung dieser Erkenntnisse in allen Medien erfolgen.
Können wir das Problem durch Aufklärung der Bevölkerung allein in den Griff bekommen? Wahrscheinlich nicht! Wir werden immer älter und der Medikamentenverbrauch wird tendenziell steigen. Deshalb müssen weitere sinnvolle Strategien entwickelt und umgesetzt werden.
Die produzierenden Industrie (Pharmaunternehmen) hat bereits sehr hohe Auflagen für die Forschung und Entwicklung von entsprechenden pharmazeutischen Präparaten. Die Kosten steigen und die geeigneten Verwertungsstrategien und deren Nutzungszeiten verkürzen sich zunehmend. Nichtsdestotrotz – oder gerade weil schon ein sehr hoher Qualitätsmanagement-Standard in dieser Industrie vorzufinden ist, sollte man genau dort weiter ansetzen. Es sollte viel detaillierter beschrieben werden was mit den Medikamenten nach der Einnahme passiert und somit durch Kampagnen bei den Endverbrauchern und „Zwischenhändlern“ ein höheres Bewusstsein geschaffen werden.
Mögliche Handlungskonsequenzen?
Es müssen sinnvolle und nachhaltige Strategien entwickelt werden um Medikamente wieder fachgerecht entsorgen zu können. Dazu gehört auch in diesem Bereich zum einen die Aufklärung und zum anderen die Möglichkeit für Endkunden (Patienten) abgelaufene oder nicht mehr zu gebrauchenden Medikamente richtig zu entsorgen. Denn auch die Entsorgung in der Mülltonne kann im schlimmsten Fall zur Belastung des Grundwassers mit Spurenstoffen führen, wenn der Müll nicht verbrannt wird, sondern über das Deponiesickerwasser direkt in den Kreislauf gelangt. Eine - leider abgeschaffte - Methode könnte aus der heutigen Sicht wieder reaktiviert werden. Kunden und Patienten könnten über ein sicheres Pfandsystem - als Anreiz - wieder alte Medikamente in der Apotheke abgeben. Damit wären dann die Apotheken als Anlauf- bzw. Fachstelle für die sachgerechte Entsorgung verantwortlich und der Mehraufwand für die Apotheken könnte über sinnvolle Finanzierungsmodelle umgelegt werden.
Des Weiteren müssten verpflichtende konzeptionelle Gesetze in den nächsten Jahren entwickelt werden, die die Pharmaindustrie verpflichtet in Zukunft neue Generationen von effektiveren Medikamenten zu entwickeln. So könnten zum Beispiel Medikamente mit viel höheren Bioverfügbarkeiten entwickelt werden, bei denen nicht zu 90 % die eigentliche Wirksubstanz wieder ausgeschieden wird und in der Umwelt landet, sondern dann eben ein Großteil des eigentlichen Wirkspektrums direkt im Körperstoffwechsel genutzt wird. Ein weiterer wichtiger Ansatz sind neue Medikamentengenerationen und nachhaltige Arzneimittel die umweltfreundlicher produziert werden können und vor allem nach ihrer Ausscheidung aus dem Körper sich vollkommen in unbedenkliche Einzelkomponenten zersetzen und somit keinen Schaden in Flora und Fauna anrichten würden. So gibt es bereits erste erfolgreiche Forschungsansätze, bei denen medizinisch sehr wirksame und biologisch abbaubare Molekülstrukturen identifiziert und im Labor synthetisiert werden konnten. Es werden bereits umweltfreundliche Versionen von zum Beispiel Antibiotika und Betablockern getestet. (Leuphana Universität Lüneburg, 2017)[6]
Natürlich müssen auch wieder sozio-kulturelle Aspekte mehr in der Öffentlichkeit diskutiert werden. So wäre ein nächster wichtiger Ansatz, die Menschen wieder zu animieren Eigenverantwortung für ihre Gesundheit und die Nachfolgegeneration zu übernehmen. Denn wer nicht chronisch krank wird, braucht auch keine bzw. weniger Medikamente!
Um die aktuellen Herausforderungen besser in den Griff zu bekommen, wäre es definitiv sinnvoll durch entsprechende Gesetze zumindest in Krankenhäusern und Altenheimen Kanalisationsfilteranlagen einzuführen. Dadurch könnte u.a. gewährleistet werden, dass die Rückstände im Abwasser als einer der Haupteinflussfaktoren durch die richtige Filterung reduziert werden. Zusätzlich sollten in den kommenden Jahren alle Kläranlagen durch eine sogenannte vierte Filterstufe – wie bereits vom Umweltbundesamt gefordert – aufgerüstet werden.
(Auszüge aus einem Essay im Modul Qualitätsmanagement an der Universität Potsdam, Prof. Dr. habil. Michael Hildebrand (Pharmazeut) "Haben wir Probleme mit Medikamentenrückständen im Wasserkreislauf und welche logischen Handlungskonsequenzen können aus Sicht des Qualitätsmanagements sinnvoll genutzt werden?", 2019)
[1] Norddeutscher Rundfunk. (06. 02 2018). Gefährliche Keime in Bächen, Flüssen und Seen. Abgerufen am 12. 01 2019 von www.ndr.de: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Gefaehrliche-Keime-in-Baechen-Fluessen-und-Seen,keime302.html
[2] Umwelt Bundesamt. (2017). Arznei für Mensch und Umwelt? Umsetzung der Empfehlungen des Handbuches Kommunikationsstrategien zur Schärfung des Umweltbewusstseins im Umgang mit Arzneimitteln – ein Beitrag zum nachhaltigen Umgang mit Arzneimitteln. Dessau-Roßlau: Umwelt Bundesamt.
[3] Bayerisches Landesamt für Umwelt. (2016). Schadstoffe - Spurenstoffe im Wasser. Augsburg: Bayerisches Landesamt für Umwelt (LfU)
[4] ISOE . (2015). Schlussbericht - Projekt TransRisk. Frankfurt am Main: Institut für sozial-ökologische Forschung und ISOE. (2014). Arzneimittelwirkstoffe im Wasserkreislauf. Frankfurt am Main: Institut für sozial-ökologische Forschung ..
[5] Verbraucherkommission BW. (2016). Arzneimittelrückstände im Wasser und Entsorgung von Arzneimitteln für Verbraucherinnen und Verbraucher – Herausforderungen und Aufgaben. Stuttgart: Verbraucherkommission Baden-Württemberg.
[6] Leuphana Universität Lüneburg. (15. 11 2017). Forscherteam entwickelt umweltverträglichere Antibiotika. Abgerufen am 19. 01 2019 von www.leuphana.de: https://www.leuphana.de/news/meldungen-forschung/ansicht/datum/2017/11/15/institut-fuer-nachhaltige-chemie-und-umweltchemie-forscherteam-entwickelt-umweltvertraeglichere-ant.html